Dialog "Die Simulation"
Martin Warnke & Ad Aertsen

In dem Nutzen und Grenzen von Simulationen ausgelotet und festgestellt wird, dass Millionen simulierter Nervenzellen noch kein simuliertes Mäusegehirn ergeben. Für die beiden Physiker, die sich der Simulation als zu untersuchendem Phänomen, und als Werkzeug zum Erkenntnisgewinn nähern, sind deren Möglichkeiten und Grenzen stets präsent. Weder Experiment noch Theorie, erlaubt dieser dritte wissenschaftliche Weg, eine Atombombenexplosion außerhalb der Realität zu erforschen oder die Essenz eines Vogelschwarms zu verstehen. Doch als Werkzeug zur Erforschung des Gehirns stößt sie an Grenzen: Nicht an die des technisch Machbaren, sondern der Verfügbarkeit brauchbarer Annahmen.

1. Kapitel: Ausweitung der Rechenzone: Simulationen & Modelle

06:00 Kommentar: Computermodelle

Indem Computer Modellen das Laufen beibringen, schieben sie sich als Simulationen zwischen Theorie und Experiment. Zunächst weiteten sie die Zone aus, in denen Berechnungen möglich waren, dann gaben sie Anlass zu neuen Begriffsbildungen, etwa dem Schmetterlingseffekt, um dann selbst zu Begründungsinstanzen aufzusteigen. Computersimulationen werden, weil so erfolgreich, zu ersten Prinzipien nobilitiert.

12:30 Kommentar: Random Networks vs. Structured Networks

"Random networks" waren (und sind) ein attraktives Modell, da sie analytisch (und falls nicht, zumindest per Simulation) einfach zu behandeln sind. "Structured networks" sind womöglich interessanter in ihren Aussagen, vorausgesetzt die Strukturen, die in den Netzwerken eingebaut sind, ähneln in grundlegenden Punkten denen im biologischen Substrat, d.h. im real existierenden Gehirn. Falls nicht, bringen sie zwar eine zusätzliche Komplexität, was womöglich aus mathematischen Sicht interessant ist - sie helfen uns allerdings nicht in unserem Verständnis des Gehirns. Daher unser großes Interesse, über Strukturregeln der Konnektivitäten im biologischen Hirn zu erfahren! Dies kann nur die Neuroanatomie und Neurophysiologie liefern.

2. Kapitel: Zustands-Übergänge vs. Signal-Codierung

15:10 Kommentar: nachrichtentechnische Simulation

Die Computersimulationen von Ad Aertsen und seiner Gruppe zeigen, was geschieht, wenn man mit traditionellen nachrichtentechnischen Metaphern an Modelle des Nervensystems herantritt: das Signal bleibt keines mehr, die Codes wechseln ständig ihre Gestalt. Dabei sind die Modelle viel einfacher als das natürliche Vorbild, das Gehirn! Müssen wir uns von den Metaphern verabschieden, die aus der Technik des vergangenen Jahrhunderts stammen?

18:55 Kommentar zu "Driver nodes"

"Driver nodes" sind Knoten in einem Netzwerk, von denen aus man maximalen Einfluß auf die Dynamik im globalen Netzwerk ausüben kann. Embeddedness ist ein quantitatives Maß dafür, wie geeignet Knoten im Netzwerk sind, als "driver nodes" aufzutreten. Solche Maße beruhen bislang hauptsächlich auf anatomischen Daten ("connectome"), zunehmend aber auch auf physiologischen Daten, und zwar über die Stärke der anatomischen Verbindungen im "connectome".

3. Kapitel: Wie schwarmähnlich ist ein Schwarm?

25:30 Kommentar: Tautologie der Simulation

Wir wissen, was wir wissen, neuerdings durch Computersimulationen. Die Begründungen und ersten Prinzipien werden operational, bleiben nicht formelhaft. So verstehen wir einen Schwarm, weil drei im Computer abgearbeitete Regeln Bilder erzeugen, die für uns ausdrücken, wie einer auszusehen hat. Was verstehen wir über das Gehirn, wenn seine Simulationen Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten zu unserem Denkorgan aufdecken?

25:30 Kommentar zu Netzwerk-Theorien (Feedforward Netzwerke)

Wir haben in den letzten 10 Jahren viel über die Aktivitätsynamik in "Random Netzwerken" gelernt. Ebensoviel haben wir über die Aktivitätsdynamik in "Feedforward Netzwerken" gelernt - insbesondere auch über solche, die wiederum in "Random Netzwerke" eingebettet sind. Die Interaktion zwischen einer sich fortpflanzenden Aktivitätswelle und der darauf reagierenden Aktivität im Netzwerk ist sehr interessant. In vereinfachenden Modellen verstehen wir diese Interaktion inzwischen. Wie das im Gehirn stattfindet steht auf einem anderen Blatt - das würden wir gerne verstehen.

29:20 Kommentar: Ähnlichkeits-Metrik

Wie ähnlich ist Aktivität im Modell der Aktivität, gemessen im biologischen Gehirn? Dazu braucht es eine Übersetzung der gemessenen mathematischen Größen im Modelnetzwerk in die Meßgrößen, gemessen an den Elektroden im Gehirn. Dieses ist eine der wichtigsten Fragen in der Hirnmodellforschung, die bislang weit von geklärt ist. Bis dahin behelfen wir uns mit vereinfachenden Modellannahmen - sind uns deren aber sehr bewußt!

4. Kapitel: Die Rechner sind schnell genug

34:40 Kommentar: Big Data = Big Science?

Computersimulationen sind Big Science und damit Schauplätze von Wissenschaftspolitik. Very Big Science nutzt Very Big Data. Wie viel Theorie benötigt die großindustrielle Hirnforschung? Wissen wir genug, um mit schwerem Geschütz den Geheimnissen des Gehirns zu Leibe rücken zu können?

36:00 Kommentar: Maus und Computer

Die heutigen Rechner sind inzwischen in der Lage, ein Netzwerk in der Größe des Gehirns einer Maus zu simulieren. Es gibt nur ein Problem: Wir wissen nicht, wie das Gehirn der Maus verdrahtet ist. Uns fehlen grundsätzliche Daten zur Anatomie und Physiologie des Mäusegehirns, und genauso zu den Gehirnen interessanter Säuger wie Katzen, Affen oder Menschen. Daher sind Versuche, das Gehirn zu simulieren (wie im HBP) zum Scheitern verurteilt. Wir haben zwar die Rechnerkapazität, aber nicht das Wissen, diese erfolgbringend einzusetzen. Genau deswegen ist die EU-Investition in HBP falsch angelegt: sie fördert die Rechnerkapazität, aber nicht die Erforschung des Wissens, sie erfolgbringend einzusetzen. Genau falsch! HBP ist primär IT Förderung - hat herzlich wenig mit dem Gehirn zu tun - und gehört daher, da fälschlicherweiser unter dem Deckmantel der Hirnforschung gefördert, sofort gestoppt! Hirnforschung dagegen sollte durchaus gefördert werden - aber unter besseren Bedingungen als in diesem Mammutunternehmen: Wer hat die besseren Ideen? Wer schlägt die besseren Experimente vor? Wer hat die interesssanteren Modelle?