Verhaltensforscher &
Wissenschaftskommunikator
Für den Verhaltensbiologen und Wissenschaftskommunikator Gunnar Grah bleibt das Gehirn auch nach mehreren Jahren, in denen er die Hirnforschung der Öffentlichkeit näherbringt, ein Mysterium. Doch die Vielfalt an einzelnen Erkenntnissen und unterschiedlichen Facetten der Hirnforschung, mit denen er sich im Zuge der öffentlichen Vermittlung beschäftigt hat, fasziniert ihn deshalb nicht weniger.
Ingenieur &
Neurotheoretiker
Arvind Kumar will verstehen, wie das Gehirn funktioniert und welche Ursachen zu seiner Erkrankung führen. Die Werkzeuge, derer er sich bei seiner Arbeit bedient, sind aber nicht Skalpell und Mikroskop, sondern mathematische Gleichungen und leistungsfähige Computer. Bevor er sich der Hirnforschung widmete, studierte Kumar Ingenieurswissenschaften und brachte aus diesem Bereich auch seinen speziellen Arbeitsansatz mit: Er betrachtet das Gehirn als ein dynamisches System, dessen viele Stellschrauben darüber entscheiden, ob es fehlerlos seinen Dienst versieht – oder durch teils winzige Veränderungen aus dem Gleichgewicht gerät. Kumar baut Computersimulationen einzelner Hirnbereiche, an denen er die Eigenschaften der Nervenzellen und ihrer Netzwerke besser untersuchen kann, als es bei einem echten Gehirn möglich wäre.
Biophysiker &
Neurowissenschaftler
Gehirnfunktionen simulieren und dadurch das Denkorgan besser verstehen – zu den Mitbegründern dieses wissenschaftlichen Ansatzes zählt Ad Aertsen. Für den studierten Physiker ist die theoretische Analyse durch mathematische Beschreibungen und die damit verbundene Möglichkeit, Computermodelle zu erschaffen, der absolut notwendige Gegenpart zur experimentellen Hirnforschung. Nur wenn beide Ansätze gleichzeitig verfolgt werden und sich fortwährend austauschen, ist Aertsen zufolge die Entwicklung einer experimentbasierten Theorie des Gehirns möglich. Eine solche Theorie ist für ihn auch die Voraussetzung für die Entwicklung zuverlässig arbeitender Schnittstellen zwischen dem Gehirn und technischen Geräten, die ihre Steuerbefehle direkt aus den Aktivitäts-mustern der Nervenzellen empfangen.
Informatiker &
Roboterkonstrukteur
Die Roboter des Informatikers Wolfram Burgard bewegten sich schon selbständig durch Fußgängerzonen, ein Allradfahrzeug soll bald allein den Weg auf die Gipfel des Schwarzwalds finden. Im Cluster entwickelt er Assistenzgeräte und Roboter, die gelähmten Menschen im Alltag helfen sollen. Denn Gehirnsignale durch eine Gehirn-Maschine-Schnittstelle auszulesen ist nur eine Seite der Medaille. Die Befehle der Nervenzellen müssen in Bewegungen umgesetzt werden, so dass die Roboter zuverlässig agieren. Der Informatiker Burgard setzt auf die künstliche Intelligenz seiner Kreationen, damit sich die Hilfssysteme in der Umwelt zurechtfinden und ihre Aktionen planen können. Entscheidend dabei ist, dass der Datenstrom aus dem Gehirn um so kleiner ausfallen kann, je mehr das Robotiksystem selbst an Planung und Steuerung übernimmt.
Neurologe &
Nervenarzt
Nicht jede Erkrankung des Nervensystems muss chronisch sein: Häufig kann das Gehirn wieder heilen oder die Aufgabe eines geschädigten Hirnbereichs von einem anderen übernommen werden. Mit den Möglichkeiten der Rehabilitation, der Neuorganisation und den Selbstheilungsmechanismen des Gehirns, insbesondere nach einem Schlaganfall, befasst sich Cornelius Weiller, Leiter der Neurologie am Uniklinikum Freiburg. Weiller untersucht hierfür Patienten mit modernsten bildgebenden Verfahren und kann so dem Gehirn beim „Umbau“ während der Rehabilitationsphase zuschauen. Noch sind es vor allem spezielle Übungen, die er erforscht. Doch in Zukunft möchte der Arzt auch neurotechnologische Implantate mitentwickeln, die als „Trainer auf Zeit“ das Gehirn bei der Heilung unterstützen sollen.
Stereotaktiker &
Neurochirurg
Der Neurochirurg Volker Coenen platziert elektrische Sonden im Gehirn und verlegt Drähte im Inneren des Schädels, um Linderung zu verschaffen, wo andere Behandlungen und Medikamente wenig ausrichten können. Auch bei Erkrankungen, die sonst die Domäne des Psychiaters sind, konnte der Stereotaktiker durch elektrische Stimulatoren Erfolge erzielen: Selbst Formen von Depression oder Zwangserkrankungen lassen sich durch elektrische Reize abgebende Implantate behandeln. Bei vielen neurologischen Leiden ist noch nicht enträtselt, wodurch sie auftreten und auf welche Weise Implantate ihnen entgegenwirken. In diesen Fällen erweitert die Kombination aus Behandlung und Forschung, wie sie der Neurochirurg betreibt, die Kenntnisse auf der wissenschaftlichen wie auch auf der medizinischen Seite.
Neurobiologe &
Biomikrotechniker
Ulrich Egert ist Neurobiologe mit ausgeprägtem Sinn für das Technische. Dem Problem, dass Nervenzellen im Gehirn zu dicht gedrängt sitzen, um viele von ihnen gleichzeitig zu belauschen und zu stimulieren, begegnet er mit einem eleganten Trick: Er setzt sie in Gefäße, wo sie mit einander nach denselben Regeln in Kontakt treten, wie sie es auch im Gehirn tun – nur eben viel weniger eng gepackt. Was die Gefäße, die Egert mitentwickelt hat, besonders macht, sind zahlreiche elektrische Kontakte in deren Boden. So wird die Aktivität einzelner Zellen messbar und das Muster gegenseitiger Aktivierung und Hemmung offenbar. Selbst künstliche elektrische Reize können in das locker geflochtene Netzwerk eingespeist werden. So kann Egert gezielt wissenschaftliche Fragestellungen zur Funktion – oder Dysfunktion – des Gehirns erforschen.
Mediziner &
Neurowissenschaftler
Der Neurowissenschaftler Tonio Ball sucht in der Aktivität von Milliarden Nervenzellen nach Mustern. Denn alles, was wir tun, denken und fühlen, hat in den elektrochemischen Änderungen der Großhirnrinde eine Entsprechung. Doch diese Muster waren nie dafür gedacht, beobachtet und dechiffriert zu werden. Um die hochkomplexen Signale möglichst unverfälscht zu empfangen, ist Ball auf die Hilfe von Menschen angewiesen, denen aus medizinischen Gründen Matten mit elektrischen Kontakten auf die Hirnoberfläche gelegt werden. So kann der Wissenschaftler gleichzeitig Hirnaktivität und menschliches Verhalten protokollieren und feststellen, wie sich die Hirnströme bei unterschiedlichen Bewegungen unterscheiden, oder subtile Unterschiede im Sprachverhalten eines Menschen an dessen Nervenzellaktivität erkennen.
Soziologe &
Kulturtheoretiker
Dirk Baecker ist Soziologe und lehrt Kulturtheorie und -analyse an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Nach Arbeiten auf den Gebieten der Wirtschaftssoziologie, Organisationsforschung und Kulturtheorie beschäftigt ihn gegenwärtig ein Ausflug in die Neuro-soziologie. Er verfolgt die These, dass eine -Theorie des neuronalen Systems unter der Bedingung eines Plurals der Gehirne nur möglich ist, wenn man dem Vernunftvermögen des Menschen mit Immanuel Kant die Unbedingtheit kategorialer Subjekte, hypothetischer Reihen und disjunkter Systeme unterstellt.
Mediziner &
Wissenschaftshistoriker
Cornelius Borck ist Direktor des Instituts für Medizin- und Wissenschaftsgeschichte an der Universität zu Lübeck. Nach einem Studium der Medizin und Philosophie hat er einige Zeit in der experimentellen Hirnforschung gearbeitet, bevor er sich für die Frage zu interessieren begann, wie die Hirnforschung zu ihren Objekten und Modellen kommt. Eine besondere Rolle nehmen dabei offensichtlich Maschinen und überhaupt Medien ein, die nicht nur als Instrumente die Forschung voranbringen, sondern auch als Leitvorstellungen die Forschungsfragen strukturieren. Wir entwerfen uns also „im Spiegel unserer Maschinen“. Heute sind das vor allem Visualisierungsverfahren, von denen wir Aufschluss über unsere Gedanken- und Gefühlswelten erhoffen, indem wir das Gehirn bei seiner Tätigkeit beobachten. Die faszinierend anschaulichen Bilder aus dem Innern des Kopfes sind dabei längst zu Agenten unserer Wirklichkeit geworden, wie umgekehrt in ihre Entwicklung die spezifischen Fragen unserer Kultur eingeschrieben sind.
Kultur- &
Medienwissenschaftlerin
In den letzten Jahren hat sich Karin Harrasser mit der Kultur- und Wissensgeschichte der Prothetik beschäftigt. Obwohl wir längst in enger Kooperation mit technischen Apparaten leben, haben wir nur ein eingeschränktes Arsenal an Bildern, Erzählungen und Begriffen, um dieses Zusammenleben (und zusammen Sterben) mit Maschinen zu begreifen. Das hängt auch damit zusammen, dass die Möglichkeit der technischen Erweiterbarkeit des Menschen mit gesundheitspolitischen und ökonomischen Fragen legiert ist. Es stellen sich die klassischen Fragen nach dem guten Leben, nach dem Recht auf Imperfektion, nach Ressourcengerechtigkeit. Und es stellen sich ein paar nachklassische Fragen nach Modellen des Ko-Handelns mit Maschinen, nach Parahumanität und der Erweiterung der Physik hin zu einer 'Pataphysik: Hin zu einer Wissenschaft vom Singulären.
Performerin &
Kulturwissenschaftlerin
„Denn nicht wir wissen, es ist allererst ein gewisser Zustand unserer, welcher weiß.“ („Von der allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden“, Heinrich von Kleist, 1805) Wie kommen wir in diesen Zustand? Beispielsweise wenn wir Vorträge halten? Und wenn nicht wir es sind, die wissen, sind es dann die Versammlungen, die Konstellationen von Menschen, Räumen, Zeiten, Medien, Maschinen, die wissen? Welche unterschiedlichen Formen der Teilhabe organisieren solche Versammlungen des Wissens? Sibylle Peters erörtert diese Fragen im Zuge von Experimenten zwischen Theater, Wissenschaft und gesellschaftlichem Engagement. Sie leitet das Forschungstheater in Hamburg, in dem Kinder, Künstler_innen und WissenschaftlerInnen gemeinsam forschen, ist Mitglied des Performance-Kollektivs geheim-agentur und hat unter dem Titel „Versammlung und Teilhabe. Urbane Öffentlichkeiten und performative Künste“ das erste künstlerisch-wissenschaftliche Graduiertenkolleg der BRD mitgegründet.
Mathematiker &
Neurotheoretiker
Stefan Rotter führt die analytischen Möglichkeiten der Mathematik gegen die schier überwältigende Komplexität des Gehirns ins Feld. Denn auf absehbare Zeit wird es nicht möglich sein, einen vollständigen Schaltplan des menschlichen Gehirns zu zeichnen, geschweige denn seine Eigenschaften mathematisch zu beschreiben. Die heute möglichen Messungen der Gehirnaktivität liefern jedoch eine Vielzahl statistischer Kennzahlen. Auf deren Grundlage entwickelt der studierte Mathematiker und Physiker Computermodelle, die möglichst genau die Hirnfunktion abbilden. Diese Simulationen werfen ein Licht darauf, wie die Struktur der Netzwerke aus Nervenzellen und die darin auftretenden raum-zeitlichen Aktivitätsmuster zusammenhängen. Denn es sind diese flüchtigen, sich ständig wandelnden Muster des Informationsaustauschs, welche die Basis des Fühlens, Denkens und Erinnerns bilden.
Physiker &
Kulturinformatiker
Das in Computersimulationen entstehende Wissen entspringt der computerbasierten Imitation dynamischer Systeme und greift als ökologische, medizinische, ökonomische oder technische Maßnahme tief in unseren Lebensalltag ein. Martin Warnke ist Professor für Kulturinformatik und war vor seiner Tätigkeit an der Leuphana Universität Physiker an der Universität Hamburg. Durch seinen Wechsel in die Kulturwissenschaften bringt er Sachverstand und Methodik der Hard Sciences in das Feld einer kulturwissenschaftlich orientierten Informatik. Sein Hang zum Exakten trifft auf die Faszination vom Widersprüchlichen. Er baut Softwaresysteme, die mit informatischen Techniken vorverbale visuelle Wahrnehmungen kommunikabel machen.
Philosoph &
Ethiker
Menschen nutzen seit Langem Prothesen, um den Verlust oder das Nachlassen von Körperteilen auszugleichen. Oliver Müller geht der Frage nach, was das Neuartige an Prothesen für das Nervensystem ist. Der Philosoph und Ethiker richtet seinen Blick sowohl auf das Konkrete wie auch auf dahinterliegende, größere Fragen. Denn einerseits ist die Verbindung von Technik und Nervensystem auch mit unerwünschten Effekten verbunden, die es zu verstehen und abzuwägen gilt. Und andererseits ist durch neurotechnische Eingriffe der Punkt erreicht, an dem die Definitionen des Menschseins in Fluss geraten, neu gedacht und überprüft werden müssen. Dabei will sich Müller nicht als ethischer Wächter verstanden wissen, sondern als philosophischer Begleiter einer Entwicklung, die nicht aufzuhalten und deren Weg noch nicht vorgezeichnet ist.