Dialog "Prothetik & Ersatzglieder"
Karin Harrasser & Wolfram Burgard

In dem die Sorge, dass Prothesen zu einem Imperativ der Selbstverbesserung führen, einträchtig neben der Vision eines mitdenkenden robotischen Helferleins steht. Das Gespräch oszilliert zwischen der kritischen Perspektive auf Prothesen, die spätestens seit der Weimarer Republik auch der sozialen Programmierung dienen, und der optimistischen Aussicht, dass ein Roboter eines Tages den Menschen vollständig verstehen, ihm seine Arbeit abnehmen und nicht einmal mehr äußerlich vom Menschen unterscheidbar sein wird. Zukünftige Prothesen, so zeichnet es sich in den eingenommenen Positionen ab, werden eines Tages die Autonomie eines Blindenhundes erreichen – hoffentlich, ohne für den/die Träger_in zu einer Beleidigung zu werden.

1. Kapitel: Soziale Kompatibilität von Mensch und Maschine

02:00 Kommentar zu Uexküll

Johann Jakob von Uexküll ist eine jener Gestalten, denen man an den seltsamsten Stellen begegnet, wenn man sich für Formen kybernetischen Wissens interessiert. Eigentlich war er ein anti-darwinistischer, anti-behaviouristischer Zoologe, der im späten 19. Jahrhundert in der zoologischen Meeresstation in Neapel geforscht hat. (Das Aquarium existiert übrigens immer noch, läuft aber inzwischen aus.) Die Idee einer rückkoppelnden Beziehung zwischen Organismus und Umwelt hat er erstmals formalisiert. Er hat einen Regelkreis aufgezeichnet, demgemäß Wahrnehmung, Interpretation, Erinnerung und Handlung rekursiv aufeinander bezogen sind. Emanuel Sarris, sein Doktorand und Mitentwickler des künstlichen Menschen hat sich später in Griechenland um die Reformpädagogik bemüht. Ihr künstlicher Mensch war als ein Apparat zur Steigerung von Freiheitsgraden gedacht. Gilles Deleuze und Félix Guattari waren verständige Leser Uexkülls. In den Mille Plateaux tauchen unzählige seiner Beispiele auf (die Zecke und ihre biologischen Regelkreise, die mimetische Beziehung zwischen Biene und Blüte), nicht aber sein künstlicher Mensch. Er hätte ihnen gefallen, wird aber in den auf französisch verfügbaren Texten von Uexküll nicht erwähnt. Schade.

10:15 Exkurs: Anfänge der Robotik

Die Idee eines künstlichen Helfers des Menschen kam schon in der Antike auf, bereits im Mittelalter wurden erste Automaten realisiert, zB die automatische Ente von Jacques de Vaucanson. Im Theaterstück R.U.R. (Karel Capek, 1920) hiessen sie das erste Mal "Roboter" und entwickelten auch gleich Bewusstsein und revoltierten gegen ihre Erschaffer. Isaac Asimov prägte 1942 die drei Robotergesetze: 1. A robot may not injure a human being or, through inaction, allow a human being to come to harm. 2. A robot must obey the orders given to it by human beings, except where such orders would conflict with the First Law. 3. A robot must protect its own existence as long as such protection does not conflict with the First or Second Law. In der realen Welt sind autonome Roboter seit den Sechzigern Gegenstand der Forschung, bekannt wurde zB "Shakey" (1968-1972) des Stanford Research Instituts. Die Entwicklung humanoider Roboter ging hauptsächlich von Japan aus, der bekannteste ist der ASIMO von Honda. Am weitesten verbreitet sind seit den 80ern Jahren Industrieroboter, die den Menschen stupide und schwere Arbeit abnehmen. Mittlerweile gibt es auch verschiedene Service-Roboter, die in ihrem Einsatzgebiet selbständig agieren können - Staubsauger- oder Rasenmäherroboter zum Beispiel. Für die Zukunft forscht man an Robotern, die in der Lage sind, sich selbständig und kooperativ Wissen und Fähigkeiten anzueignen, um sich möglichst autark und rücksichtsvoll in ihre Umgebung einzufügen. 

12:58 Kommentar zu Hiroshi Ishiguri

Ein japanischer Robotiker und Forscher der Universität Osaka, der seinen Roboter-Zwilling gebaut hat. Dieser sieht ihm fast schon erschreckend ähnlich. Dank diverser Motoren kann er auch Gesichtsausdruck des Professors imitieren, ausserdem scheint er zu atmen. Allerdings agiert er nicht autonom, sondern wird ferngesteuert. Ein Mikrofon nimmt Ishiguros Stimme auf, Kameras beobachten sein Gesicht und verfolgen Kopfbewegungen, diese Aufnahmen werden dann als Programmierung an den Roboter übertragen.  Neben seinem Zwilling hat er auch Doppelgänger seiner Tochter, seiner Frau und einer bekannten japanischen Fernsehmoderatorin angefertigt. Diese sogenannten Geminoiden - Zwillingsroboter werden in Forschungen zur Mensch-Maschine-Interaktionen eingesetzt, Ishiguri interessiert sich für Fragen nach der Akzeptanz zwillingsähnlicher Roboter und inwieweit sich Menschen durch Roboter ersetzen lassen.

2. Kapitel: Imperativ der Selbstverbesserung/Steigerungslogik

21:10 Kommentar zum Imperativ der Selbstverbesserung

In der aktuellen journalistischen Berichterstattung zu High-Tech-Prothesen wird gern behauptet, dass aufgrund des Fortschritts in der Prothesentechnik ein qualitativer Schritt zu erwarten wäre: Prothesen sollen nicht länger der Behebung eines Mangels dienen, sie öffnen vielmehr die Tür zur Möglichkeit der Steigerung organischer Vermögen. Oscar Pistorius’ steht emblematisch für diesen Trend, wurde er doch zunächst deshalb nicht zur Olympiade zugelassen, weil seine Prothesen als illegitime Leistungssteigerung galten. Dagegen möchte ich einwenden: Die Idee der technischen Übersteigerung der menschlichen Kräfte ist uralt und steht in keinem Verhältnis zum Stand der Technik. Eigentlich tauchte die Phantasie – zumindest im Abendland – bei der Einführung jeder Technologie auf. Nichts ist so anachronistisch, wie der Futurismus der Steigerung der menschlichen Kräfte durch Technik. Was die Denkfigur im Moment so problematisch macht, ist ihre unseelige Allianz mit einem Imperativ der Selbstverbesserung. Die Zukunft des Körpers hält seine Gegenwart in Schach.

3. Kapitel: Selbstreferentiealität in der (Maschinen)-Forschung

4. Kapitel: Enhancement als Normalität oder Beleidigung

37:40 Exkurs: Google Car

Seitdem das autonome Fahren seinen Anfang nahm und der VW Touareg Stanley der Universität Stanford 2005 den zweiten Darpa Grand Challenge gewonnen hat (240 Kilometer durch die Wüste von Nevada in knapp 7 Stunden) - wurden schon einige Fortschritte erzielt. Die Autos von Google fügen sich heute schon ganz gut in den Strassenverkehr ein und sind mittlerweile über 1 Mio. Kilometer durch Kalifornien und Nevada gefahren. Mit Hilfe diverser Laser-Sensoren sind sie in der Lage, andere Verkehrsteilnehmer wie Autos, Fahrradfahrer und Fussgänger zu erkennen und deren Verhalten zu beobachten um ihr eigenes Fahrverhalten entsprechend anzupassen. Bisher werden normale PKW modifiziert, aber ein erster Entwurf für ein originär autonom fahrendes Auto wurde von Google im Mai 2014 vorgestellt. Bevor es aber tatsächlich zum Robo-Taxi kommt, sind noch einige Fragen zu klären, insbesondere in den Bereichen von Recht und Haftung.

39:12 Kommentar: Was heißt Singularität

Zur Widersprüchlichkeit von Begehren. Falls man überhaupt etwas über „den Menschen“ sagen kann (ich versuche das üblicherweise zu vermeiden), dann, dass er aus lauter Widersprüchen zusammengebaut ist. Technologien hingegen versuchen, so gut sie es können, ein gut definiertes Problem zu lösen. Es kommt daher alles darauf an, in der Entwicklungsarbeit zu bedenken, wie heillos durcheinander die Wünsche, Phantasien und Erwartungen potentieller NutzerInnen sind. Nicht, weil sie es nicht besser wissen, sondern weil wir so sind. Planend-abweichend, klug-dumm, funktional-dysfunktional, rational-verrückt, neugierig-faul. Menschen sind Singularitäten, wie alles, was der Fall ist. Andererseits ist beruhigend: Auch wenn Technologien gebaut werden, um ein bestimmtes Problem zu lösen, sind sie überaus eigensinnig: Sie machen neue Welten, erzeugen neue Begehren und Bedeutungen. Sie sind höllisch aktiv und überaus interessante Mitbürger. Wer sich für eine solche Auffassung von Welt interessiert, dem sei wärmstens Isabelle Stengers’ „Cosmopolitics“ empfohlen. But be aware: It’s a vortex.